G. Schmelz: Kirchliche Amtsträger im spätantiken Ägypten

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Titel
Kirchliche Amtsträger im spätantiken Ägypten nach den Aussagen der griechischen und koptischen Papyri und Ostraka.


Autor(en)
Schmelz, Georg
Reihe
Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete Beiheft 13
Erschienen
München 2002: K.G. Saur
Anzahl Seiten
IX, 411 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Hübner, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

In Untersuchungen zur Kirche der Spätantike stehen meist entweder bedeutende Bischöfe als die 'großen Gestalten' der Geschichte, strukturelle Probleme und Ausnahmesituationen wie die häretischen Bewegungen innerhalb der Orthodoxie, die theologischen Kontroversen oder die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Kirche und Staat im Mittelpunkt. Gruppen und Individuen, die nicht zu den gesellschaftlichen Eliten gehörten oder als Extremisten hervortraten, galt das Forschungsinteresse der spätantiken Kirchengeschichtsschreibung dagegen bislang eher selten. Georg Schmelz stellt nun in seiner Dissertation über die "Kirchliche(n) Amtsträger im spätantiken Ägypten" die Alltagsgeschichte der Kleriker in das Zentrum seiner Untersuchung und richtet seinen Blick verstärkt auch auf Angehörige des niederen Klerus, die in der Forschung bislang weitestgehend vernachlässigt wurden.

Schmelz erhebt dabei die für die Organisation und Verwaltung der spätantiken Kirche äußerst ertragreiche Quellengattung der dokumentarischen Papyri und Ostraka, die einen "unmittelbaren Blick in das Leben der kirchlichen Amtsträger im spätantike Ägypten" (S. 329) bieten und vor allem für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte auch der unteren Schichten wichtige Erkenntnisse liefern können, zur Grundlage seiner Untersuchung. Durch seine Hinwendung zu den dokumentarischen Papyri und Ostraka kann Schmelz Aspekte und Details des Alltagslebens der ägyptischen Kleriker beleuchten, über die bislang Dunkel geherrscht hatte. Als bedeutende Vorgänger, die sich mit den erhaltenen Papyri zur Kirche im spätantiken Ägypten beschäftigten, sind der Theologe A. Deissmann, der bereits im Jahre 1908 sein bekanntes Werk "Licht vom Osten" 1 vorlegte, der österreichische Rechtshistoriker A. Steinwenter 2 und vor allem die polnische Papyrologin E. Wipszycka zu nennen, die seit dem Ende der 60er-Jahre in zahlreichen Aufsätzen ihre Forschungen zu der in den spätantiken Papyri dokumentierten ägyptischen Kirche, ihrer Organisation, ihrer wirtschaftlichen Situation und der Struktur ihres Klerikerstandes vorgelegt hat.3

In einer materialreichen Untersuchung, die auch im Hinblick auf die Forschung von Wipszycka neue Punkte beleuchtet, führt Schmelz den Leser kenntnisreich und sicher durch das oft fragmentarische und seinem Kommunikationszusammenhang entrissene komplexe Material. Schmelz analysiert knapp 1200 den christlichen Klerus betreffende Texte, die aus dem 4. bis 8. Jahrhundert stammen und teils bekannt, teils aber auch in der Forschung bislang unberücksichtigt geblieben sind. Sie sind in griechischer, koptischer und arabischer Sprache verfasst. Die Papyri und Ostraka stammen aus dem privaten, meist aber innerkirchlichen und öffentlichen Bereich, dokumentieren so verschiedene Vorgänge wie Pacht-, Miet-, Kauf- und Arbeitsverträge, Quittungen, diverse Listen, Zahlungsanweisungen, Bürgschaften, Korrespondenz, Erklärungen, Schenkungen und Testamente und bieten damit einen unmittelbaren Einblick in die verschiedensten alltäglichen Bereiche der kirchlichen Amtsträger, zu denen sich die literarische Überlieferung nicht oder nur sehr selten äußert. Das Untersuchungsgebiet von Schmelz beschränkt sich dabei - bedingt durch die Fundorte der Papyri und Ostraka - auf Mittel- und Oberägypten; die meisten der Dokumente stammen aus Theben und seiner Umgebung, aus dem Gebiet der Stadt Arsinoiton Polis sowie aus Hermopolis und seinem Gau. Schmelz begab sich nicht mit einer bestimmten Fragestellung an das Material, sondern wollte dessen Aussagen zu den kirchlichen Amtsträgern im Zusammenhang darstellen (S. 2). Seine Ergebnisse hat Schmelz klar und übersichtlich gegliedert. In der Regel bietet Schmelz zu Beginn jeden Kapitels eine kurze Zusammenfassung der aus den Quellen entwickelten Ergebnisse und stellt dann in den folgenden Teilkapiteln unter verschiedenen Schwerpunktsetzungen die wichtigsten Texte und die Probleme ihrer Deutung im Zusammenhang vor. Die Papyri und Ostraka werden dem Leser im Originaltext und in einer Übersetzung samt der Forschungsdiskussion umstrittener Passagen präsentiert und lassen so die Schlussfolgerungen, die Schmelz aus ihnen zieht, nachvollziehbar werden.

Im I. Kapitel seiner Arbeit bietet Schmelz nach einer Einführung in den Untersuchungsgegenstand, die Quellen und den Forschungsstand einen kurzen chronologischen Abriss des ägyptischen Christentums von seinen Anfängen bis in die arabische Zeit sowie eine Übersicht zur Organisation und Hierarchie der kirchlichen Ämter und Institutionen, die im 4. Jahrhundert bereits voll ausgebildet waren. Im Hauptteil seiner Arbeit (II.-VII. Kapitel) nähert sich Schmelz dem Material unter verschiedenen Gesichtspunkten: Im II. Kapitel geht es um die Regelungen zur Übernahme eines geistlichen Amtes und den Vorgang der feierlichen Einsetzung, wobei er aus den Papyri verschiedene Verpflichtungserklärungen der angehenden Kleriker selbst und auch Bitten um Ordination und Bürgschaftserklärungen Dritter für die Weihekandidaten zitiert. Man erfährt etwas über die Anforderungen an einen zu ordinierenden Geistlichen, die Eignungskriterien und zukünftigen Verpflichtungen sowie über die gewünschten Qualifikationen in Hinsicht auf Berufswissen und Bildungsstand. Das III. Kapitel widmet sich dem Gottesdienst, seiner Organisation, seinen Zeiten, seinen liturgischen Formen, den verwendeten liturgischen Geräten und Gewändern und anderen Ausstattungsstücken des Kirchenraumes, die durch die auf Papyri festgehaltene Korrespondenz von Bischöfen mit ihrem Klerus, durch Kirchenkalender und Listen der Besitztümern von Kirchen und Klöstern dokumentiert sind.

Im IV. Kapitel wendet sich Schmelz den belegten Regelverstößen der Kleriker, Laien und Mönche gegen die kirchliche Ordnung und der Ausübung der Kirchenzucht durch den Bischof zu. Es sind bischöfliche Aufrufe zur Versöhnung, Vorladungen vor den Bischof, Zeugenaussagen und Erklärungen der Prozessparteien überliefert. Wie die Quellen zeigen, konnte der Bischof stellvertretend auch Presbyter und Diakone zur "Kontrolle, Belehrung und Disziplinierung" (S. 141) des Klerus und der Laien einsetzen und ihnen damit eine Kontrollfunktion übertragen, die sie sogar dazu legitimierte, den einstweiligen Ausschluss vom Abendmahl zu verhängen. Schmelz zitiert eine ganze Reihe von Quellen, in denen es um Kleriker, Laien und Mönche geht, die sich Ungehorsam, Verstöße gegen die Amtsdisziplin, Kirchenschändung, Ehebruch und Trunkenheit, um nur einige Beispiele zu nennen, zuschulden hatten kommen lassen. An Sanktionen werden je nach Art und Schwere des Vergehens Ausschluss vom Abendmahl oder aus dem Klerus sowie Geld- und Naturalienstrafen verhängt. Das V. Kapitel behandelt die Verwaltung und das wirtschaftliche Leben der Kirchen und Klöster. Hier wird anhand zahlreicher Einzelbeispiele die Rolle des Bischofs und der Kleriker bei der Leitung der Kirchen bzw. Klöster und bei der Verwaltung der kirchlichen Einnahmen und Ausgaben beleuchtet. Die Einnahmen setzten sich aus Stiftungen, Spenden, Verpachtung und Vermietung von Grundeigentum und dem Verkauf von selbst produzierten Waren zusammen, die Ausgaben aus den Unterhaltszahlungen an die Kleriker, der Sorge für Witwen und Waisen, der Unterhaltung der Gebäude, der Zahlung von Steuern und anderen Abgaben und den Lohnzahlungen an die in den kircheninternen Werkstätten beschäftigten Handwerker und Arbeiter.

Über die Einkommensverhältnisse der kirchlichen Amtsträger handelt Schmelz im VI. Kapitel. Die Kleriker lebten von kirchlichen Unterhaltszahlungen, die nach klerikalem Rang abgestuft waren und in Naturalien - meist Wein und Getreide - ausgezahlt wurden; manche Kleriker gingen zusätzlich noch einer weltlichen Tätigkeit nach. Einige Kleriker waren freie oder abhängige Bauern, andere arbeiteten auch als Bäcker, in der Textilherstellung, als Töpfer, in der Metall- und Holzverarbeitung und im Transportwesen, als Verwalter, im Bankwesen oder als Notare. Im VII. Kapitel, überschrieben mit "Die Kirchliche Amtsträger im öffentlichen Leben", geht es zunächst um die Rolle der Kleriker, Mönche und Bischöfe als Fürsprecher und Friedensrichter bei Streitfällen unter den Dorfbewohnern. Kleriker traten zusammen mit den Laien der gesellschaftlichen Oberschicht auch als Vertreter ihres Ortes nach außen auf - der Bischof in der Stadt, Priester und Diakone in den Dörfern - und organisierten das dörfliche bzw. städtische Steuerwesen. Eingeschoben ist hier ein Exkurs über "Die Leitung der Dörfer" im spätantiken Ägypten. Das abschließende VIII. Kapitel ist eine längere Zusammenfassung der in den vorangegangenen Kapiteln gewonnenen Ergebnisse. Es folgen ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein Verzeichnis der benutzten Papyri und Ostraka. Ein Stichwortregister wäre wünschenswert gewesen.

Schmelz blendet nach seiner Einleitung die Ereignisgeschichte im darstellenden Teil weitgehend aus und beschränkt sich zudem anders als E. Wipszycka in ihren zahlreichen Aufsätzen zur klerikalen Organisation Ägyptens auf nur eine Quellengattung. Eine zumindest fallweise Berücksichtigung der literarischen Überlieferung wäre jedoch angebracht gewesen, um zu zeigen, inwiefern die Untersuchung der Papyri das aus der literarischen Überlieferung gewonnene Bild der kirchlichen Amtsträger etwa revidieren, bestätigen, verbessern oder ergänzen kann. In der staatlichen Gesetzgebung und den innerkirchlichen Kanones sind eine Reihe von Zulassungsbeschränkungen in den Klerus für bestimmte gesellschaftliche Gruppen dokumentiert, ebenso wie Regeln zur Lebensführung und Voraussetzungen zur Übernahme eines Amtes. Ein Vergleich zwischen diesem Rechtsanspruch und der Wirklichkeit, wie sie sich in den Papyri und Ostraka widerspiegelt, kommt über Ansätze leider nicht hinaus, hätte sich sicherlich aber als lohnend erwiesen. Wünschenswert wäre ein Vergleich der aus den Papyri und Ostraka gewonnenen Ergebnisse mit den epigrafischen Quellen aus Ägypten gewesen, die Auskünfte über Amtstitel, soziale und regionale Herkunft, Familie und weltliche Berufe der kirchlichen Amtsträger liefern. Die Hinzunahme der eng verwandten Quellengattung der epigraphischen Überlieferung, die sich anders als die Papyri und Ostraka nicht nur auf Ägypten beschränkt, hätte vielleicht auch Aussagen zugelassen, wie repräsentativ die aus den papyrologischen Quellen gewonnenen Schlüsse für anderen Regionen sind.

Eine Untersuchung zur sozialen Herkunft der Kleriker, eine regionale Differenzierung hinsichtlich der Bedeutung von Ort des Wirkens - Stadt, Land, Kirche, Kloster - sowie Stellung und Einkommen der Kleriker vermisst man ebenfalls. Alltags- und kulturgeschichtlich interessante Themen wie die nebenberufliche Tätigkeit der Kleriker, die Stellung der Kleriker in der Gesellschaft und auch das konfliktregelnde Auftreten der Kleriker in Vertretung des Bischofs werden zwar dargestellt, aber nicht weiter auf ihre Konsequenzen für die Stellung der Kleriker im öffentlichen Leben untersucht.4 Eine Einordnung der weltlichen Berufe mancher Kleriker in das soziale Gefüge der spätantiken Städte und Dörfer wäre ebenfalls wünschenswert gewesen. Vergleichbare Untersuchungen zur wirtschaftlichen Tätigkeit von Klerikern bleiben unberücksichtigt,5 ebenso wie wichtige und neuere Literatur zur städtischen und dörflichen Lebenswelt in frühbyzantinischer Zeit im Allgemeinen.6 Verwirrend ist für den Leser dieser Untersuchung die Verwendung des Begriffs "kirchliche Amtsträger" für Presbyter, Diakone und die niederen Kleriker, für Klerikermönche und für Bischöfe, so dass auch dort von kirchlichen Amtsträgern oder Klerikern die Rede ist, wo nur der Bischof gemeint ist. Auch versucht Schmelz nicht, bei der Auswertung des Quellenbestandes eine Unterscheidung von Klerikern an Kirchen oder Klöstern vorzunehmen und ihr Ansehen, ihre Kompetenzen und ihre weltliche und spirituelle Autorität gegeneinander abzuwägen.

Die Stärke und gleichzeitig Schwäche dieses Werks liegt in seinem engen Festhalten am papyrologischen Material. Es wird eine gründliche Analyse des ausgewählten Quellenmaterials geboten, man vermisst bei der Aneinanderreihung einer teilweise erdrückenden Fülle von Einzeltexten und Details aber eine distanziertere Bewertung und eine abschließende Einordnung in den Forschungsstand zur spätantiken Kirche. So ist diese Arbeit primär eine thematisch geordnete und durch Übersetzungen sorgfältig aufbereitete Darstellung und Zusammenfassung des gesammelten papyrologischen Materials, die sich aber sicherlich als ertragreich für weitere Forschungen zu den kirchlichen Amtsträgern und zur spätantiken Kirche im Allgemeinen erweisen wird. Deren Aufgabe aber wird es sein, die durch die Natur der verschiedenen Quellenarten abgedeckten Lebensbereiche und Perspektiven, die Übereinstimmungen und Widersprüche zu erklären und zu einem stimmigen Bild zu verbinden.

Anmerkungen:
1 Deissmann, A., Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 1924.
2 Steinwenter, A., Die Rechtsstellung der Kirchen und Klöster nach den Papyri, ZRG k.A. 50 (1950), S. 1-50; Ders., Das Recht der koptischen Urkunden (HAW X 4.2), München 1955.
3 Viele davon wurden wieder abgedruckt in: Wipszycka, E., Études sur le christianisme dans l’Egypte de l’antiquité tardive, Rom 1996.
4 Zu vergleichen wäre gewesen: Harries, J. D., Resolving Disputes: The Frontiers of Law in Late Antiquity, in: Mathisen, R. W. (Hg.), Law, Society, and Authority in Late Antiquity, Oxford 2001, S. 68-82.
5 Eck, W., Handelstätigkeit christlicher Kleriker in der Spätantike, Memorias de Historia Antiqua 4 (1980), S. 127-137; Sironen, E., The Late and Early Byzantine Inscriptions of Athens and Attica, Helsinki 1997, S. 402f. (im Appendix "Occupations in early Christian Epitaphs of Greece" zu Klerikern, die weltlichen Tätigkeiten nachgingen).
6 Kaplan, M., L’économie paysanne dans l’Empire byzantin du Ve au Xe siècles, Klio 68 (1986), S. 198-232; Schuller, C., Ländliche Siedlungen und Gemeinden im hellenistischen und römischen Kleinasien, München 1998; Brandes, W.; Haldon, J., Towns, Tax and Transformation: State, Cities and their Hinterlands in the East Roman World, c. 500-800, in: Brogiolo, G. P.; Gauthier, N.; Christie, N. (Hgg.), Towns and their Territories between Late Antiquity and the Early Middle Ages, Leiden 2000, S. 141-172.

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